Der Ikarus von Ostpreußen

Am 17. Juni 1929 erschüttert ganz Ostpreußen die Traurige Nachricht vom Tod Ferdinands Schulz. Längst wäre diese, wie vieles in der Geschichte, in Vergessenheit geraten, wenn nicht das Grab auf dem Heilsberger Friedhof: unweit von der 13. Station des Kreuzweges des Waldfriedhofs (heute Kommunalfriedhof) auf einem Platz steht das Grabmonument - so einzigartig und hoch, daß man es kaum übersehen kann. Doch wer war er?

Wer war Ferdinand Schulz?

Foto: Grabdenkmal von Ferdinand Schulz Ferdinand Schulz gehört zu den bekanntesten Bewohnern Ostpreußens der Zeit zwischen den Weltkriegen. Seine Leidenschaft war das Fliegen. Am 11. Mai 1924 erstellte er mit seinem Segelflieger den Weltrekord im Dauerflug von 8 Stunden und 42 Minuten. Seit diesem Zeitpunkt eilte er von einem Weltrekord zum anderen. 1926 vertrat er Deutschland bei den Allrussischen Segelflügen auf der Krim, wo er einen neuen Dauerrekord aufgestellt hat. Im Jahr 1927 besaß er alle Segelflugweltrekorde. Jeder war über seine Leistungen stolz. Doch am 16. Juni 1929 passierte ein unfassbares Unglück. Der erfahrene Pilot (der mehrere Abstürze überlebt hat) soll in der Stadt Stuhm zur Ehre der gefallenen Soldaten bei der Einweihungsfeier eines Kriegerehrenmals mir seinem Motorflugzeug, der "Marienburg", über dem Bismarckplatz fliegen und einen Ehrenkranz abwerfen. Als es nun soweit war, ertönte das Motorgeräusch. Der Flieger gewann eine Zeit lang an Höhe zu, um den Abwurf präzise auszuführen, bis es plözlich knallte. Eine der Tragflächen brach ab und beschädigte sowohl das Seiten- als auch das Höhenruder. Kurz darauf brach auch die andere Tragfläche ab. Ab diesem Moment hat der berühmte Pilot und sein Schüler und Co-Pilot Bruno Kaiser keinen Einfluß mehr auf den Lauf der Dinge. Der Rumpf des Flugzeugs trudelte noch einige Meter und fiel auf den Marktplatz (ca. 50 Meter vom Bismarckplatz entfernt) runter. Die beiden Leichen überführte man zunächst auf die Marienburg. Der Freund, Schüler und Co-Pilot von Ferdinand Schulz wurde auf dem Jerusalemer Friedhof zwischen den Gefallenen des Ersten Weltkriegs beigesetzt. Der berühmteste Pilot Ostpreußens wurde hingegen unter großen Anteilnahme der Bevölkerung nach einer kurzen Feier in der Heilsberger Kirche auf dem Waldfriedhof zur letzten Ruhe gebettet. Auf seinem letzten Weg begleiteten ihn Flieger mit Trauerflor, die über der Stadt kreisten.

Das Leben über und unter den Wolken

Foto: Ferdinand Schulz Geboren am 18. 12.1892 als erstes der zwölf Kinder eines Lehrers in Waldensee bei Seeburg. Sein Vater Ferdinand wollte, dass sein Sohn den Beruf des Lehrers ergreift. Doch sein Sohn hatte andere Pläne. Weder das Gymnasium in Braunsberg, noch die die Präparandenanstalt in Rößel konnten ihn vom seiner Idee abbringen. Schon als Kind hatte er eine starke Neigung zu den Naturwissenschaften. Er bastelte gerne und erfreute seine Familie mit immer neuen Erfindungen wie Kreissäge, die an ein Windrad angeschlossen wurde oder selbst gebasteltem Radio. Während seiner Zeit im Thorner Lehrerseminar nahm er an der alljährlichen "Thorner Festungsübung" teil. Die Flieger des Heeres, die nach kurzer Vorführung Ihrer Fähigkeiten den Seminaristen für Erklärungen zur Verfügung standen beieindruckten den jungnen Ferdinand. Eine neue Leidenschaft wuchs in ihm. Jede freie Minute verbrachte er auf dem Flugplatz. Bald durfte er sein Können beweisen. Nach zwei Verwundungen im 1. Weltkrieg bewarb er sich um Versetzung zu der Fliegerstaffel. Die Versetzung wurde am 22.02.1917 genehmigt und er durfte am 02.01.1918 seinen ersten Frontflug absolvieren. Bis Ende des Krieges absolvierte er 97 Flüge. Mehrfach ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse, dem Verwundeten- und Fliegerabzeichen kehrte er als Staffelführer und Leutnant der Reserve in seine Heimat zurück. Doch bevor er sein Flugzeug (das nach den Bestimmungen von Versaailes wie alle motorbetriebene Flugzeuge zerstört werden sollte) in Frankfurt/Oder abgegeben hatte, flog er bis in seine Heimat, wo er ein Paar Runden über seinem Dorf drehte.

Die Passion eines Dorflehrers: "Segelflieger mit Weltruhm"

Foto: Ferdinand Schulz vor seinem Flugzeug 'Marienburg' In seinem Heimatdorf übernahm er den Unterricht für seinen kranken Vater. In der Freizeit studierte er Untersuchungen von Otto Lilienthal über den motolosen Flug. Nach dem Vorbild des Flugzeugs von Lilienthal baute er seine erste Maschine: Ferdinand Schulz 1 (FS 1). Da es aber nicht so richtig funktionieren wollte, baute er ein zweites FS 2 (ebenso vom Typ Höuml;ngegleiter). Damit fuhr er zum 2. Röhnwettbewerb auf die Wasserkuppe, wo sein Flugzeug leider zum Wettbewerb nicht zugelassen wurde. Ausserhalb des Wettbewerbs erreichte er beachtliche Leistungen (z.B. 365 Meter in 46 Sekunden) und zog die Aufmerksamkeit auf sich. Ein Jahr später kam er mit seinem neuen Flugzeug SF 3 vom Typ Hochdecker zum 3. Röhnwettbewerb. Doch auch diesjahr wurde er ausgeschlossen, weil man die Sicherheitsvorkehrungen und die Art der Steuerung bemängelte. Seine Maschine bakam von seinen Segelflugkollegen den Namen "Besenstielkiste". Mit derselben nahm er am ersten Küstensegelflugwettbewerb im Jahre 1923 (23. Mai) teil und gewann den Hauptpreis. Im darauf folgenden Jahr wurde er erneut zum Sieger erklärt und stellte mit 8 Stunden 42 Minuten und 9 Sekunden einen neuen Weltrekord im dauerflug auf. Im Oktober 1925 startete er auf 3. Allrussischen Segelflügen uns stellte zwei neue Rekorde auf: in Dauer (12 Stunden 6 Minuten und 2 Sekunden) und in Höhe (435 Meter). Mit der "Westpreußen" stellte er im Jahre 1927 in Rossitten weitere Rekorde auf: Pendelstreckenrekord (455,8 km in 14:07 Stunden), Geschwindigkeitsrekord (10 km mit 54,45 km/h) und in Grunauin Schlesien ein Höhenrekord von 652 Metern.

Nachdem im Mai 1926 die Siegermächte des Ersten Weltkrieges für einige Arten von motorbetriebenen Flugzeugen das Verbot aufgehoben haben, erwarb Ferdinand mit Hilfe der Stadt Marienburg ein zweisitziges Flugzeug für Schulzwecke und taufte es auf den Namen "Marienburg". Seine Familie war nach dem Tod des Familienoberhauptes nach Springborn bei Kiwitten umgezogen. Ferdinand als der älteste der Kinder half seiner Familie weiterhin und unternahm sogar mit seiner Mutter im Heiligen Jahr 1925 eine Wallfahrt nach Rom. Doch ein gewöhnliches bürgerliches Leben (wie z.B. Gründung eigener Familie) lehnte er bis zu seinem Unfall ab. Sein ganzes Leben galt seiner Familie und seiner Leidenschaft.

Der "Herrgottschnitzer" Michael Lipow

Foto: Holztisch (M. Lipow, ausgestellt im heilsberger Schloss)
Tisch im Heilsberger Schlossmuseum
Foto: Grabkreuz aus der Wekrstadt von M. Lipow
Grabkreuz für Fam. Hippler
auf dem Heilsberger Waldfriedhof

Der in Heilsberg einst berühmte Schnitzer ist nicht nur ein Stück der Geschichte der Stadt, sondern auch der europäischen Geschichte. Geboren in einer deutschen Mühler-Familie in Rschew (ca. 250 km von Moskau entfernt) endeckte er sehr früh Kunst als den Inhalt seines Lebens. Mit 15 Jahren bekam er eine solide Ausbildung in Kunst. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges mußte er mit seiner Familie Russland für immer verlassen. Er zog nach Hannover, später nach Königsberg, wo er sein Studium beendete und seine künftige Frau Martha Hohmann aus Heilsberg kennenlernte. Schließlich fand er 1923 in Heilsberg seine Heimat. Sein schöpferisches Wirken können wir bis heute in vielen Kirchen und auf einigen Friedhöfen Ermlands bewundern.

Seine Heiligenstatuen, Grab- und Weg-Kreuze zieren Kirchen und Friedhöfe rund um Heilsberg, aber auch Heiligelinde und andere Orte. Als Restaurator arbeitete er ebenfalls an der Renovierung vieler Figuren und Bilder. Ob Holz, Stein oder Leinwand - Lipow ist sich selbst treu geblieben. Nach der Flucht vor der Roten Armee im Winter 1945 zog er nach Künzelsau im Laßbach-Vogelsberg-Altkreis (heute Hohenlohekreis) in der Nähe von Schwäbisch Hall. Dort war er bis ins hohe Alter (92 Jahre) tätig. Er starb als "zweimal Heimatlvertriebener" in Künzelsau am 16.1.1983. Seine Kunst in Ermland und Hohenlohekreis beweist die Richtigkeit seiner Haltung gegenüber Schmerz des Verlustes der Heimat ("Arbeiten ist besser als Nichtstun").

Der "Russen-Friedhof" (1914-1919)

Während der Schlacht um Heilsberg fielen nicht nur Russen. Auch Belgier, Rumänen, Franzosen, Serben, Italiener und Briten sind in dem Stück Wald am Rande der Stadt (Feldweg nach Rehagen) beerdigt worden. Nicht alle starben in den Kämpfen. Die meisten verbrachten nach ihrem Ende längere Zeit in eben dieser Umgebung als Kriegsgefangene. Sie waren beschäftigt mit dem Bau der Straße nach Bartenstein (in der Nähe des Lagers).Im Gedenken an ihre Soldaten stiftete die britische Regierung ein Kreuz. Die gefangenen selbst errichteten eine Pyramide, die an das Schicksal von 2081 Russen, 506 Rumänen, 49 Briten, 43 Franzosen, 19 Italiener, 8 Serben, 45 Belgier und einer unbekannten Zahl an aus Wolynien vertriebenen Deutschen. Lange Zeit vergessen erreichte er seinen alten Glanz erst in den 90er Jahren durch bemühung der Geschichte-Lehrer heilsberger Schulen. Sie finden ihn abseits der Straßse nach Bartenstein (letzte Kreuzung vor der Tankstelle rechts - Richtung "Sarnowo") - auf der rechten Seite im Wald.

Treppen zum Friedhof Das von der britischen Regierung gestiftete Kreuz Die von den Gefangenen gebaute Pyramide Wegweiser zum Friedhof